Interview:1995-Wakeford-Ikonen


Dieses Interview wurde bereits um 1995 schriftlich geführt, nie veröffentlicht und von der Autorin freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Nichts Neues unter der Sonne?

Einige Fragen an Anthony Charles Wakeford von der Gruppe Sol Invictus

Die 1988 mit der Mini-LP „Against The Modern World“ aus der Taufe gehobene Band Sol Invictus war ursprünglich für den rauhesten Folk-Sound der Neofolk-Bands aus dem Londoner World-Serpent-Label-Umfeld bekannt, entwickelte sich mittlerweile jedoch in die Bereiche neoklassischer Musik. Gegründet von dem einflußreichen Chaos-Magier Ian Read und dem Death-in-June-Aussteiger Tony Wakeford, benannte man sich nach der persischen Sonnengottheit Mithras („Die unbesiegte Sonne“) und verlieh sich gleich zu Beginn einen mythisch-aggressiven Anstrich. Der Debüt-Titel ist einem esoterischen Buch des rechtsintellektuellen Italieners Julius Evola entnommen, der in „Revolte gegen die moderne Welt“ eine neue „monarchistische Elite“ formulieren und heraufbeschwören will. Wakeford distanziert sich heute explizit von diesem literarischen Bezug und möchte den Titel lieber allgemeiner verstanden wissen. In späteren Interviews betont er zudem, das besagte Buch habe erst Jahre später in einer englischen Übersetzung vorgelegen, so dass er ohnehin nur den Titel kannte.

Während die ersten drei Alben unter dem deutlichen Einfluß von Ian Read standen, der auch häufig selbst sang, wurde Sol Invictus schließlich – nach Reads Abschied – zu Tony Wakefords persönlichem Projekt. – Dominierten auf den ersten Werken „Against…“ und „In The Jaws Of The Serpent“ noch hart geschlagene Akustikriffs und markige Texte, traten auf „Lex Talionis“ auch sanfte Klavierakkorde und zwischenmenschliche Themen („Abattoirs of Love“) in den Vordergrund. Viele der Texte sind durchaus ironisch gemeint und fanden eher aufgrund von Mißverständnissen ihren Weg in die Gothic-Szene: „Black Easter“ will weniger dem Satanismus zum Sieg verhelfen, sondern reflektiert die okkulten Klischees klassischer britischer Horrorfilme wie Jacques Tourneurs CURSE OF THE DEMON, einer Verfilmung des Romans “Casting the Runes” (aus der auch das Anfangssample stammt). Etwas ernster sind Wakeford die sehr verhaltenen Kommentare zur Zeitgeschichte: In „Fields“ beschreibt er auf bewegende Weise die Begegnung mit einer Zeugin der Bombardierung Dresdens mit dem Fazit „No more wars amongst Brothers!“ Wakeford betont häufig sein „eurozentrisches“ Weltbild, ein idealistisches Konstrukt, das mehr mit der Sehnsucht nach der “verlorenen Identität” zu tun habe als mit passioniertem Rassismus, wie es einige seiner Gegner gerne sehen möchten (so seine Ehefrau Renée Rosen Wakeford in den Linernotes einer Orchestr Noir-CD).

Stärker als seine Kollegen bezieht sich Sol Invictus auch im Coverartwork auf „archaische“ und heidnische Symbole, die ebenfalls als Monumente für die Sehnsucht nach vergangenen Idealen stehen: der Wolf, der Rabe, die Sonne, der Mond, das Schwert, die Rose, die Esche. Diese allesamt mit der „Edda“ verknüpften Elemente tauchen immer wieder in Wort und Bild auf. Erst mit der Hinwendung zur neoklassisch-orchestralen Musik, die Wakeford 1995 mit „In The Rain“ vollzog, trat eine eher fatalistisch-melancholische Weltsicht in den Vordergrund, die von dem englischen Künstler Tor Lundvall in bestechend-naive Bilder umgesetzt wurde. Möglicherweise entweicht mit den archaischen Metaphern jedoch auch die „Wucht“ der Musik. Die schwindende Popularität gerade von Sol Invictus in den letzten Jahren – bedingt u.a. durch inflationär häufige Live-Auftritte – scheint dafür zu sprechen. Wakeford ist jedoch nicht unterzukriegen: Er erweiterte seine Aktivität auf die Produktion von Nachwuchsbands aus dem neoklassischen Umfeld (Algiz aus Frankreich) und bringt die kulturanalytische Zeitschrift ON (the world and everything in it) heraus (heute: SOL).

Tony, bitte beschreibe die konkrete Idee und Motivation, die hinter dem von Dir herausgegebenen aber leider nur einmal erschienen ON-Magazin steckt.

Die Idee ist – wie der Titel besagt – ein thematisch sehr weit gefaßtes Magazin zu erschaffen. Die (post)moderne Kultur wird scheinbar zunehmend homogen und berechenbar. Wir hoffen, in diesem Magazin treffen sich Sichtweisen, die außerhalb des neuen Zeitgeistes existitieren. Mark Denton, mein Mitherausgeber, und ich hoffen, die Leser folgen uns bei diesen Interessen. Wir hoffen auch, demnächst ein vom Produktionsstandrad her weniger aufwendiges Magazin regelmäßig herausgeben zu können, das einige Artikel des FLUX Internet-Magazins veröffentlicht, in das ich involviert bin.

Hast Du selbst die Bands auf der ON-Compilation ausgewählt?

Ja, das ist eine Mixtur von Freunden und eingeschickten Tapes. Ich hatte gehofft, es handelte sich nur um unveröffentlichtes Material, doch einige Songs scheinen anderswo erhältlich zu sein, was mir sehr peinlich ist. Da das Magazin sehr lange brauchte, um zu erscheinen, kann ich das Problem verstehen. Ein Magazin erscheint gemäß dem langsamsten Mitarbeiter – und das ist in der Tat langsam. Insgesamt glaube ich, die CD funktioniert gut. Ich bin zwar kein Fan von Compilations, aber ich glaube, sie ist gut hörbar. Da sie 80 Minuten enthält, ist sicher für jeden etwas dabei. Ich freue mich darüber, das die bisherigen Kritiken sehr positiv waren.

Glaubst Du, Du wirst jemals wieder mit David Tibet, Douglas P. oder Ian Read zusammenarbeiten?

Ich bin in Kontakt mit Tibet und Douglas und obwohl es unwahrscheinlich klingt, sind merkwürdige Dinge im Gange… Ich habe keinen Kontakt zu Ian Read.

Wirst Du Deine neoklassische Entwicklung wie sie auf CUPID AND DEATH zu hören ist weiter entwickeln?

Das ORCHESTRE NOIR Projekt wird das Ventil für jede Menge neoklassischer Kompositionen sein, ich denke jedoch, auch meine andere Musik wird davon beeinflußt werden. Ich mag diese Richtung, auch wenn es sonst niemand tut.

Warst Du jemals derart in praktische Magie verwickelt, wie es Ian Read noch immer ist?

Ja.

Bist Du noch immer von einer Idee der ‘Vereinigten Staaten von Europa’ fasziniert oder ist “Black Europe” (Titel eines Sol-Invictus-Bootlegs) das zynische Programm des Tages?

Ich glaube, fasziniert ist nicht das richtige Wort. Ich finde die Idee eines amerikanischen Konzeptes diesbezüglich deprimierend. Mich interessieren die organischen Kulturen Europas, nicht die staatlichen Fallen eines ökonomischen Nationalismus’. Das neue Europa scheint ein rein ökonomischer Zwang zu sein, gefangen im Weltmarkt und auf dem Weg zu noch mehr Zentralisierung… Es gibt nichts Neues unter der Sonne.

Die Instrumentals auf CUPID AND DEATH scheinen von klassischer Filmmusik inspiriert zu sein. Statt dessen wich etwas der pathetische und mystische Ton der früheren Werke. Interessiert Dich das ‘deep listening’-Konzept des Inner Cinema?

Die Instrumentals sind eine respektvolle Verbeugung vor einigen kulturellen Ikonen, die das Los auf Erden erträglicher machen, z.B. John Barry, das film noir-Genre und die Filme von Luis Bunuel.

Hast Du selbst das alte ABOVE THE RUINS Material herausgebracht? Bitte erzähle etwas über dieses Projekt, mit dem Du scheinbar nicht sonderlich glücklich bist…

Die CD ist in Ordnung, denke ich, aber ich bin Unglücklich mit der Art und Weise, wie sie herausgebracht wurde. Mit den Vinyl-Veröffentlichungen stehe ich nicht in Verbindung. Lieber würde ich über gegenwärtige Vorhaben sprechen; jenen Teil meiner Vergangenheit sehe ich als ein fremdes Land, eines das ich selbst im Urlaub nicht besuchen würde…

Douglas P. erzählte in einem Interview 1994, Du wärst gegen eine Veröffentlichung alter CRISIS-Punk-Songs (Wakefords und Pearce’ frühere Band). Stimmt das?

Möglich. Wir beide hatten Möglichkeiten, altes Material wiederzuveröffentlichen. Es wird schließlich im Frühjahr 1997 als Doppel-CD herauskommen. Ich und ich denke auch Douglas sind sehr zwiespältig, was das betrifft. Zum Archivieren wäre es gut, die Sachen herauszubringen, aber ich sehe die ganze Periode eher negativ. Es gibt eine Menge alter Geister, die dadurch hoffentlich endlich Ruhe finden werden.

Bekommst Du noch immer Post aus aller Welt?

Ich bekomme noch immer Briefe und versuche sie zu beantworten, vor allem wenn sie interessant sind. Es ist heute jedoch schwierig, da ich seltener in England bin.

Einige World-Serpent-Gruppen wie DEATH IN JUNE und THE MOON LAY HIDDEN scheinen vom Balkan-Krieg besessen zu sein. Auf SOL-INVICTUS-Platten sucht man konkrete, zeitbezogene Kommentare jedoch vergeblich. Ist das außerhalb Deines Interesses?

Ich scheu zurück vor politischen Kommentaren und Handlungen, hauptsächlich, weil meine Vergangenheit davon durchzogen und in vielerlei Hinsicht verschwendet ist. Das betrifft nur meine Position und ist nicht kritisch gemeint. Ich denke, die Weise, in der Douglas die kroatische Bevölkerung finanziell Unterstützt, ist bewundernswert.

Ein Stück von Dir ist auf dem BLUTFEUER-Sampler. Fühlst Du Dich wohl zwischen BLOOD AXIS und ALLERSEELEN? „Hedda Gabler“ klingt sehr ironisch in diese Kontext!?

Ich habe kein Problem, auf dieser CD zu erscheinen. Ich bin für sie so wenig verantwortlich wie sie für mich. Zur Ironie: die gibt es viel zu wenig heutzutage. Es kommt auf das Ohr des Betrachters an…

Was denkst Du über die Tendenz einiger Gothic-Avantgarde-Magazine, punktuell zum Medium für konservative politische Tendenzen zu werden?

Um ehrlich zu sein, ich wußte nicht, daß das der Fall ist. Ich spreche und lese leider sehr schlecht Deutsch, so ist mein Verständnis eingeschränkt. Die politische Einstellung anderer betrifft mich jedoch kaum. Ich nehme sie mit einer Prise Salz… Ich wurde der selben Dinge beschuldigt in der Vergangenheit und finde die Ankläger ebenso suspekt. Sie sind oft ebenso extrem wie ihre Feinbilder. Ich denke Deutschland ist für derartige Dinge sehr anfällig und gleichzeitig paranoid. Das ist historisch einsehbar, Hexenjagd ist jedochvon rechts und von links ein wenig reizvolles Konzept. Vielleicht ist das naiv, aber ich lasse mich nicht für die Meinung anderer Leute verantwortlich machen.

Was ist das ORCHESTRE NOIR im Gegensatz zu SOL INVICTUS?

Es ist ein Medium für thematische und filmische Kompositionen. Ich hoffe, es ist künftig möglich, dieses Projekt zu vergrößern und das Repertoir zu erweitern. Ich würde gerne für Filmsoundtracks arbeiten und hoffe, dies ist ein Schritt in diese Richtung. Jetzt warte ich, daß Hollywood an meine Tür klopft. Bis dann…ORCHESTRE NOIR!

Vielen Dank für deine Geduld und alles Gute.

Das Interview führte Maria Nicoli. Überarbeitet und ergänzt 2004 und 2005.

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